INTERVIEW: Carina Kriegl – Lebensmittelkennzeichnung ist Tierschutz

Tierschutz, Nutztierhaltung und Lebensmittelkennzeichnung stehen heute mehr denn je im Fokus. Dr. Carina Kriegl, Geschäftsführerin der Gesellschaft „!Zukunft Tierwohl!“, erklärt, warum Haltungskennzeichnung entscheidend für Tierwohl ist, was sich Österreich aus Deutschland abschauen kann und mehr – HIER!

Schwein Merlin

Auf einen Blick:

  • Herkunftskennzeichnung sagt wenig über Tierwohl aus: Herkunftskennzeichnungen beschreiben oft nur den letzten Produktions-, Verarbeitungs- oder Verpackungsschritt von Lebensmitteln.
  • Haltungskennzeichnung bietet mehr Transparenz: Haltungskennzeichnungen, wie die Siegel von !Zukunft Tierwohl!! geben tatsächlich Auskunft über die Lebensbedingungen der Tiere.
  • Lernen aus der deutschen Haltungskennzeichnung: Deutschland zeigt, dass eine staatliche Haltungskennzeichnung möglich ist und zeigt Verbesserungspotenzial, um Missverständnisse in Österreich zu vermeiden.
  • Österreich plant 5-Stufen-Haltungskennzeichnung: In Österreich wird seit Jahren ein umfassendes 5-Stufen-System diskutiert, allerdings wird die Umsetzung vermutlich von der nächsten Regierung abhängen.
  • Herkunftskennzeichnung auf Speisekarten hilft allen: Ohne Herkunftskennzeichnung in der Gastronomie wird die Landwirtschaft durch Billigimporte belasteten und Konsumentinnen und Konsumenten können nicht auf tierwohlbewussten Konsum achten.

Frau Dr. Kriegl, was haben Herkunfts- und Haltungskennzeichnungen von Lebensmitteln mit Tierwohl zu tun?

Eine reine Herkunftskennzeichnung sagt meistens nicht viel. Sie beschreibt in der Theorie nur, woher ein Lebensmittel stammt. Auch das kann irreführend sein, da oft nur der letzte Produktions-, Verarbeitungs- oder Verpackungsschritt berücksichtigt wird. Zum Beispiel kann bei Käse, der als „Herkunft Deutschland“ gekennzeichnet ist, die Milch von Tieren stammen, die ganz woanders gehalten wurden.

Eine Haltungskennzeichnung, wie sie bereits in mehreren Ländern diskutiert und teils sogar schon umgesetzt wurde, gibt Aufschluss darüber, wie das Tier während seines Lebens gehalten wurde. Lebte es in konventioneller Stallhaltung, ohne Zugang zu Außenwelt und frischer Luft? Oder konnte es sich in einer artgerechteren Umgebung bewegen, etwa mit Auslauf und natürlichem Licht?

Für eine artgerechte Tierhaltung müssen die natürlichen Bedürfnisse der Tiere erfüllt sein. Leider ist dies in der konventionellen Tierhaltung in Österreich noch immer selten der Fall. Viele Tiere leben in dunklen Ställen ohne Auslauf und erfahren zusätzliche Belastungen durch Praktiken wie das Schwanzkupieren oder die Kastration ohne Betäubung.

Reicht das AMA-Gütesiegel nicht bereits aus?

Das AMA-Gütesiegel ist vor allem ein Herkunftssiegel, das aussagt, dass ein Produkt aus Österreich stammt. Bei Fleischprodukten bedeutet das, dass das Tier in Österreich geboren, gemästet, geschlachtet und zerlegt wurde. Es gibt mittlerweile auch Zusatzmodule, die höhere Standards festlegen, aber im Wesentlichen bleibt es nur ein Herkunftssiegel. Für eine wirkliche Verbesserung der Haltungsbedingungen benötigen wir eine eindeutige Haltungskennzeichnung.

In Deutschland gibt es bereits eine staatliche Haltungskennzeichnung. Können wir daraus auch etwas für Österreich lernen?

Deutschland hat uns gezeigt, dass es möglich ist, eine solche Kennzeichnung umzusetzen, aber auch, dass es noch viel zu verbessern gibt. Die dortigen Kategorien wie „Stallhaltung“, „Außenklima“ und „Bio“ führen zu Missverständnissen, da sie wichtige Aspekte nicht berücksichtigen. Zum Beispiel, wenn ein Betrieb mit Außenklima eigentlich weniger Platz bieten als ein Betrieb mit Stallhaltung.

In Österreich wird seit Jahren über ein umfassenderen 5-Stufen-System diskutiert und verhandelt, das pro Stufe eine Reihe klar definierter Kriterien festlegen soll. Wenn ein Betrieb eine Anforderung nicht erfüllt, wird er automatisch in die niedrigere Kategorie eingestuft. Auch importierte Ware soll entsprechend gekennzeichnet werden. Unklarheiten, wie in Deutschland, versucht man damit von vornherein zu umgehen.

Die Landwirtschaft fordert vor allem in der Gastronomie eine Herkunftskennzeichnung einzuführen  – würde das zu Tierwohlverbesserung führen?

Die heimische Landwirtschaft ist durch Importwaren belastet. Die Landwirtinnen und Landwirte befürchten deshalb, dass durch höhere Tierwohlstandards und daraus resultierenden höheren Preisen noch mehr Billigware aus dem Ausland gekauft wird.

Und ich stimme ihnen zu: Ein großer blinder Fleck in der Debatte ist aktuell die Gastronomie. Auf der Speisekarte gibt es keine gesetzliche Verpflichtung zu deklarieren, woher das Schnitzel oder die Fleischleber kommen und dementsprechend haben wir dort einen großen Anteil billiger Importware. Im Idealfall wäre eine Herkunftskennzeichnung in der Landwirtschaft natürlich mit einer Haltungskennzeichnung gekoppelt, damit ich selbst die Entscheidung treffen kann, ob mir ein österreichisches Schnitzel genügt, oder ob ich will, dass dieses Tier auch Freilauf genießen durfte.

Welchen Beitrag leistet !Zukunft Tierwohl! für eine artgerechte Nutztierhaltung?

Unser Hauptziel ist es, die Tierhaltungsbedingungen für alle landwirtschaftlich genutzten Tiere in Österreich schrittweise zu verbessern. Wir entwickeln beispielsweise Programme und Richtlinien, die deutlich über den gesetzlichen Mindestanforderungen liegen. Dafür vergibt die  !Zukunft Tierwohl! auch eigene Siegel. Aktuell sind das die einzigen Tierwohl-Prüfzeichen, die von Tierschutzorganisationen getragen werden, und demnach absolut vertrauenswürdig sind.

Außerdem sind wir in die Verhandlungen für eine österreichische Haltungskennzeichnung involviert. Neben NGOs sind dort auch Handelsketten, Branchenvertreter:innen, Erzeugergemeinschaften, die Agrarmarkt Austria etc. vertreten – kurz sämtliche Beteiligte, die mit der landwirtschaftlichen Produktion von Fleisch, Milch und Eier zu tun haben. Aktuell sieht es aber leider unwahrscheinlich aus, dass dieses Projekt in den verbliebenen zwei Wochen vor der Wahl noch abgeschlossen wird. Ob sich mit der neuen Regierung etwas tut, werden wir sehen.

Welche Botschaft möchten Sie unseren Leser:innen mit auf den Weg geben?

Ich möchte jede:n darin bestärken, kritisch zu hinterfragen, woher die eigenen Lebensmittel kommen. Auch beim Einkauf auf Bauernmärkten oder in Hofläden sollte man nicht automatisch davon ausgehen, dass hinter regionalen Produkten auch mehr Tierwohl steckt. Häufig handelt es sich um konventionelle Betriebe, die lediglich die Mindestanforderungen erfüllen.

Auch bei den zahlreichen Siegeln in Supermärkten lohnt sich eine genauere Recherche. Die Tierschutzombudsstelle Wien hat dazu hervorragende Einkaufsratgeber für Marken und Gütesiegel veröffentlicht, die ich jeder und jedem ans Herz legen möchte.

Dr. Carina Kriegl setzt sich als Tierärztin und Geschäftsführerin der Gesellschaft !Zukunft Tierwohl! seit Jahren für das Wohl von Nutztieren ein.

!Zukunft Tierwohl!

Sie wollen unseren Nutztieren helfen?

Die meisten „Nutztiere“ werden in ein System hineingeboren, das keinen Platz mehr hat, wenn sie ihren „Nutzen“ für uns Menschen verlieren. Unterstützen Sie uns bei der Rettung und Versorgung dieser Tiere und ermöglichen Sie ihnen damit ein artgerechtes Leben in Würde.

 

Zum Spendenprojekt!

Das könnte Sie auch interessieren

Unsere Lebensmittel – Unsere Zukunft

Es ist dringend an der Zeit, den Ernährungssektor zu durchleuchten. Aktuell ist Österreich, auch aufgrund einer teilweise überholten Landwirtschaftspolitik, gezwungen, tierische Lebensmittel zu exportieren. Doch während Krisenzeiten kann die Überversorgung in einzelnen Bereichen ebenso problematisch werden, wie die Unterversorgung.

Zum Newsletter anmelden Newsletter schließen