Auf einen Blick:
- Artenvielfalt ist kein „nice-to-have“, sondern überlebensnotwendig für uns
- Bio-Lebensmittel schützen die Artenvielfalt, doch die Bio-Landwirtschaft schrumpft
- Regierung sollte Vorreiter im Kauf von Bio sein, verfehlt aber die eigenen Ziele
Biodiversitäts- und Klimakrise auch durch unsere Ernährung
Der Schlüssel für den Artenschutz sei immer noch die Ernährung, betont Biologin Katrin Böhning-Gaese letztens in einem Interview vom Standard. Und sie hat Recht. Lange wurde hauptsächlich die Klimakrise mit unserer Ernährung in Verbindung gebracht. Tierische Produkte aus der intensiven Landwirtschaft generieren schließlich deutlich mehr Emissionen als pflanzliche und können dabei deutlich weniger Personen ernähren.
Tierische Lebensmittel sind über alle Maße verschwenderisch
Etwa 75 % der landwirtschaftlichen Flächen werden für die Herstellung von tierischen Lebensmitteln bewirtschaftet – hauptsächlich um Futtermittel für Nutztiere anzubauen, die selbst nur selten das Tageslicht sehen. Trotzdem werden nur 18 % unseres globalen Kalorienverbrauchs durch tierische Lebensmittel gedeckt.
Im Umkehrschluss heißt das also, dass auf einem Viertel der globalen landwirtschaftlichen Flächen aktuell genug nicht-tierische Nahrungsmittel produziert werden können, um etwa vier Fünftel aller benötigten Kalorien der Menschheit zu produzieren.
Aber auch beim Artensterben, einer zweiten eng mit der Klimakrise verwobenen, aber vielleicht noch schwerwiegenderen ökologischen Krise, spielt unsere Ernährung eine maßgebliche Rolle. Gerade um die steigende Nachfrage nach tierischen Produkten zu decken, zerstören wir weltweit Ökosysteme und verdrängen Arten.
Artenvielfalt erhält unsere Ernährung, säubert unser Wasser und heilt unsere Krankheiten
Noch ist nicht in allen Köpfen angekommen, dass eine intakte Umwelt nicht nur ein nettes „nice-to-have“ ist. Artenvielfalt bietet die Grundlage für unser menschliches Dasein, sei es wegen der bestäubenden Insekten für 75 % unserer Kulturpflanzen, Bauholz, sauberem Wasser, fruchtbarer Böden oder modernen Medikamenten – überall sind wir auf intakte Ökosysteme angewiesen.
Shifting Basline Syndrom – warum wir blind sind für das Artensterben:
Unsere Umwelt ist deutlich leerer als noch zur Zeit unsere Großelterngeneration. Trotzdem können wir diese Veränderung nur schwer wahrnehmen. Grund ist das sogenannte shiftig baseline syndrom. Wir alle vergleichen unsere aktuelle Umwelt mit unserer Vergangenheit. Da ein menschliches Leben nur wenige Jahrzehnte überspannt, können wir also nur wenige Jahre als Vergleichszeitraum heranziehen. Fragen wir nun unsere Großeltern, so würden die uns von mehr Insekten, mehr Vögeln und vielfältigeren Blumenwiesen erzählen. Wir selbst aber konnten diese vergangene Artenvielfalt nie erleben und übersehen daher leicht, wie das Massensterben um uns herum voranschreitet.
Das shifting basline syndrom hat drastische Auswirkungen auf unser Handeln und unsere Politik. Anders als bei anderen Missständen spüren und sehen wir die vermeintliche Katastrophe also nicht sofort am eigenen Leib, sondern sind auf wissenschaftliche Daten angewiesen. Uns entgeht dadurch oft der Ernst der Lage, schließlich blühen die Wiesen ja noch und die Wälder wachsen. Das dies hauptsächlich Löwenzahnblüten sind, die auf überdüngtem Boden gedeihen, oder Fichtenmonokulturen, die dem Klimawandel nicht standhalten werden, erkennen wir kaum als Problem. Um so wichtiger also, wissenschaftliche Aufzeichnungen zu führen und die daraus entstehenden Studien ernst zu nehmen.
Doch genau diese essentielle Biodiversität verlieren wir aktuell in beängstigendem Tempo. Aussterben ist ein natürlicher Teil der Evolution, normalerweise wären dies 1-3 Arten pro Jahr. Aber die menschengemachte Aussterberate ist aktuell je nach Tiergruppe und Schätzung 100- bis 10.000-fach höher als die natürliche. Das heißt, die Arten sterben um das 100- bis 10.000-fache schneller aus, als sie es ohne unser Zutun würden. Nicht verwunderlich spricht man deshalb mittlerweile von einer Biodiversitätskrise.
Der Biodiversitätsrat hat fünf große Hauptursachen für die Biodiversitätskrise aufgezeigt und analysiert. Bestätigt wurde dadurch, dass vor allem die Landwirtschaft eine zentrale Rolle spielt.
- Landnutzungswandel, wodurch Wälder abgeholzt, Moore trockengelegt und Savannen zerstört werden. Für Europa besonders relevant sind die intensive Landwirtschaft, Monokulturen, Pestizide und der Verlust von Hecken, Brachen und anderen Lebensräumen.
- Ausbeutung von Arten, also z.B. die Überfischung der Meere oder die Jagd auf seltene Arten.
- Klimawandel (dieser Faktor wird in Zukunft noch deutlich bedeutender werden)
- Umweltverschmutzung, z.B. durch Plastik oder andere giftige Stoffe.
- Einwanderung exotischer Arten, die heimische Arten verdrängen und Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringen.
Bio schützt uns und unsere Umwelt
Doch Landwirtschaft ist nicht gleich Landwirtschaft. Je nachdem wie die Böden bewirtschaftet werden, wie viele Dünger und Pestizide zum Einsatz kommen und wie oft die angepflanzten Pflanzensorten wechseln, ergeben sich riesige Unterschiede für das Artensterben.
Biologische Landwirtschaft erhält unsere Artenvielfalt und verbraucht dabei nachweislich nur halb so viel Energie. Auf ökologischen Flächen können natürlich weiterhin ausreichend Lebensmittel produziert werden, trotzdem finden sich dort 30 % mehr Arten und insgesamt ca. 50 % mehr Individuen als auf konventionell bewirtschafteten Flächen.
Bio-Landwirtschaft steht unter Druck
Mit Blick auf den Klimawandel und Tierwohl-Debatten war der Trend der Biolandwirtschaft rosig. Immer mehr Landwirtschaften wurden ökologisch und Bio-Betriebe waren nicht von dem weitläufigen „Bauernsterben“ betroffen. Teils große Investitionen wurden für die ökologische Umstellung getätigt. Fast jeder 4. Betrieb bewirtschaftet nun nach Bio-Richtlinien, was Österreich zum vielbeworbenen Spitzenreiter in der EU macht. Bis 2030 sollen 35 % unserer Böden ökologisch bewirtschaftet werden, aktuell haben wir immerhin bereits über 27 % erreicht.
Doch 2023 haben fast 1.000 Bio-Betriebe, ca. 4 %, wieder aufgegeben. Viele Landwirtinnen und Landwirte sahen sich durch sinkende Subventionen und einer zu geringen Nachfrage in der öffentlichen Beschaffung von Lebensmitteln im stichgelassen. Sie sind entweder zur konventionellen Bewirtschaftung zurückgekehrt oder haben ihren Betrieb vollständig geschlossen. Auch die bewirtschaftete Fläche sank um 1,5 %.
Behörden kaufen selbst kein Bio
Und hier kommt die Politik ins Spiel. 2021 hat die österreichische Regierung in einem Aktionsplan versprochen, den Bio-Anteil in allen Einrichtungen des Bundes bis 2023 auf 25 % zu erhöhen – z.B. in Schulen, Kindergärten, Kantinen der Ministerien, Kasernen und Gefängnissen. Bis 2025 sollte der Bioanteil dort bei 30 % liegen und ab 2030 mit 55 % sogar mehr als die Hälfte ausmachen.
Doch diese Ziele verfehlt der Bund vehement, wie eine parlamentarische Anfrage Anfang dieses Jahres zeigen konnte. Der bisherige Anteil dürfte sich im niedrigen einstelligen Bereich belaufen. Unser Heer bekommt gerade einmal 1,4 % Bio-Lebensmittel aufgetischt – mickrige 1 % mehr seit 2021. Ähnlich wie die meisten übrigen Ministerien versäumen es sowohl das Bildungsministerium, mit seinen Schulen und Heimen, als auch das Justizministerium, mit seinen Gefängnissen, zu erheben, wie viel Geld für Bio-Lebensmittel ausgegeben wird.
Besonders erschreckend: Selbst das Landwirtschaftsministerium, als direkter Vertreter der Bio-Bäuerinnen und Bauern, lieferte keine Zahl. Dabei ist das Ministerium für zahlreiche Bildungseinrichtungen verantwortlich und sollte ein leuchtendes Vorbild sein.
Fazit:
Unsere Biodiversität ist unerlässlich für unser Überleben. Um diese zu erhalten und wo nötig wiederherzustellen brauchen wir auch in der Landwirtschaft den versprochenen grünen Wandel. Um den Umstieg auf Bio voranzutreiben, müssen endlich auch die Behörden ihre Vorbildfunktion ernstnehmen und Landwirtinnen und Landwirte unterstützen, die bereits ökologisch zu wirtschaften versuchen.
„Immer mehr Bio-Bauern in Österreich ziehen sich zurück“. Zugegriffen: 10. April 2024. [Online]. Verfügbar unter: https://kurier.at/wirtschaft/bio-betriebe-bauern-oesterreich-ama-regierung-politik/402780745
„Österreich – Mengenanteile von Bio- und konventionellem Fleisch im Großhandel 2016 | Statista“. Zugegriffen: 10. April 2024. [Online]. Verfügbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/681591/umfrage/mengenanteil-von-bio-fleisch-im-gastronomiegrosshandel-in-oesterreich/
„Österreich – Anteil der Bio-Fläche 2022 | Statista“. Zugegriffen: 10. April 2024. [Online]. Verfügbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/473634/umfrage/anteil-der-bio-flaeche-an-der-gesamten-landwirtschaftlichen-nutzflaeche-in-oesterreich/
„Österreich – Anteil Bio-Betriebe an den landwirtschaftlichen Betrieben 2022 | Statista“. Zugegriffen: 10. April 2024. [Online]. Verfügbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/441317/umfrage/anteil-der-bio-betriebe-an-den-landwirtschaftlichen-betrieben-in-oesterreich/
„Öffentliche Hand ist bei Bio und Tierwohl säumig: Versagt der Staat als Vorbild? – Unternehmen – derStandard.at › Wirtschaft“. Zugegriffen: 10. April 2024. [Online]. Verfügbar unter: https://www.derstandard.at/story/3000000194568/214ffentliche-hand-ist-bei-bio-s228umig
J. Sanders u. a., „Schlussbericht Teil 3 des Verbundprojektes «Entwicklung eines leistungsdifferenzierten Honorierungssystems für den Schutz der Umwelt»“.
„Wie geht es den Insekten in Österreich?“ Zugegriffen: 8. April 2024. [Online]. Verfügbar unter: https://www.umweltbundesamt.at/aktuelles/presse/news240318-rotelisten
„Biologin: ‚Wir haben ein Maß an Perfektion erreicht, die keinem Lebewesen noch etwas gönnt‘ – Edition Zukunft – derStandard.at › Edition Zukunft“. Zugegriffen: 25. März 2024. [Online]. Verfügbar unter: https://www.derstandard.at/story/3000000212745/biologin-wir-haben-ein-mass-an-perfektion-erreicht-die-keinem-lebewesen-noch-etwas-goennt
„Artensterben – Lexikon der Biologie“. Zugegriffen: 10. April 2024. [Online]. Verfügbar unter: https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/artensterben/5204
D. Steffens und F. Habekuß, „Über Leben Zukunftsfrage Artensterben: Wie wir die Ökokrise überwinden“, Zugegriffen: 10. April 2024. [Online]. Verfügbar unter: https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/artensterben/5204
WWF, „Flächenbedarf und Klimaschutz Zusammenfassung“, 2021.
M. Hall, „The Shifting Baseline Syndrome in Restoration Ecology“, S. 116–128, Feb. 2010, doi: 10.4324/9780203860373-18.