INTERVIEW: Lucas Ende – Wolf und Herdenschutz: Konflikte vermeiden, Naturschutz stärken

Artenschutzkoordinator Lucas Ende vom Naturschutzbund Österreich räumt mit Mythen über Wolf und Herdenschutz auf, erklärt, welche Rolle öffentliche Gelder spielen und berichtet von erfolgreichen Herdenschutzprojekten auf Tiroler Almen. Wie Herdenschutz Konflikte mit Beutegreifern minimiert und mehr – HIER!

Auf einen Blick:

  • Erfolgreiche Herdenschutz-Pilotprojekte zeigen, dass Wolf, Landwirtschaft und Naturschutz miteinander vereinbar sind.
  • Behirtung von Weidetieren ist Grundstein vieler Herdenschutzmaßnahmen, erhöht das Tierwohl und schützt gleichzeitig empfindliche alpine Ökosysteme.
  • Pauschale Absagen von Herdenschutz sind fachlich nicht haltbar, da die Umsetzbarkeit von vielen Faktoren abhängt (z. B. Beratung, Motivation, finanzielle Unterstützung).
  • Förderprogramme für Herdenschutz sind in Österreich noch nicht ausreichend vorhanden – hier braucht es bessere finanzielle Anreize.

Die Tiroler Landesregierung hat Herdenschutz auf Almen als nicht machbar erklärt. Kann Herdenschutz pauschal abgesagt werden?

Ob Herdenschutz gesetzlich als nicht machbar erklärt werden kann, ist eine juristische und politische Frage, die ich nicht beantworten kann. Interessanterweise gibt es aber trotzdem von der Tiroler Landesregierung finanziell und beratend unterstützte Herdenschutz-Pilotprojekte auf Almen, die funktionieren.

Auch aus fachlicher Sicht sind pauschale Aussagen über die Umsetzbarkeit von Herdenschutz nicht möglich, wie etwa die 2019 für die Tiroler Landesregierung erstellte Machbarkeitsstudie aufzeigte. Sie hat vier Tiroler Almen untersucht und festgestellt, dass neben technischen, auch sozio­ökonomische Aspekte für die Umsetzbarkeit von Herdenschutz mitberücksichtigt werden müssen.

Vor allem die Bereitschaft und Motivation der Betroffenen, Veränderungsprozesse anzugehen und mitzugestalten sei wichtig. Laut der Studie können Informationen, Prozessbegleitung und gesicherte finanzielle Rahmenbedingungen durch öffentliche Mittel dafür ebenso einen Beitrag leisten, wie eine gute Vertrauensbasis mit der landwirtschaftlichen Beratung und der Verwaltung des Landes Tirol. Kurzum: Es braucht öffentliche Gelder und gute Beratung, damit Herdenschutz funktionieren kann.

Was wären die Vorteile von professionellem Herdenschutz?

Aus Naturschutzsicht wären die größten Vorteile von Herdenschutz im Tal und auf den Almen weniger Konflikte mit Wölfen und Bären und in Konsequenz mehr Toleranz diesen Tierarten gegenüber. Auf Almen würden Weidetiere dadurch aber auch seltener in Gebieten weiden, wo sie nichts verloren haben, etwa Nachbaralmen, Wälder, oder sensible alpine Ökosysteme.

Hirtinnen und Hirten sind für die täglichen Kontrollen, Versorgung und das Wohl der ihnen anvertrauten Herde verantwortlich. Sie sorgen für eine nachhaltige Nutzung der Weideflächen und überwachen das Futterangebot der Tiere. Dabei schafft die Hirtenarbeit die Grundlage für effektiven Herdenschutz, auch wenn die bloße Anwesenheit eines Menschen noch keinen ausreichenden Schutz vor Beutegreifern bietet.

Die Lenkung der Tiere ist eine zentrale Aufgabe der Hirtinnen und Hirten: Sie steuern Ort und Dauer der Futteraufnahme ihrer Tiere und sorgen dafür, dass sie sicher geführt werden. Besonders bei schwierigen Wetterbedingungen stellt dies eine große Herausforderung dar, die Erfahrung und Können erfordert.

Die Wiederbelebung der Hirtenarbeit ist heute wichtiger denn je, um eine standortangepasste, nachhaltige Landwirtschaft zu fördern, die sowohl dem Tierwohl als auch dem Erhalt der Kulturlandschaft dient.

 

Da professioneller Herdenschutz auf Almen oft eine ständige Behirtung erfordert, würde das zugleich auch für mehr Tiergesundheit und eine gezieltere Nutzung der Weiden sorgen. Letzteres ist Voraussetzung, um die Verbuschung von Almen und die damit einhergehenden Folgen zu stoppen. Ständige Behirtung ist somit ein wesentlicher Schlüssel für den Erhalt der Almwirtschaft und ihrer positiven Effekte und sollte viel umfassender gefördert werden.

Wie teuer wäre Herdenschutz in Österreich und müssen die Landwirtinnen und Landwirte die Kosten selbst tragen?

Für die Umstellung der österreichischen Schafalmen auf gelenkte Weideführung mit ständiger Behirtung geht die Höhere Bundeslehr- und Forschungsanstalt für Landwirtschaft Raumberg-Gumpenstein von jährlich 21 Millionen Euro aus – das ist zwar nicht gleichbedeutend, aber Voraussetzung für Herdenschutz. Diese Kosten müsste die öffentliche Hand tragen, nicht die Landwirtinnen und Landwirte selbst. In einem Agrarbudget von 3 Milliarden Euro (Stand 2024) ist diese Summe aber eher überschaubar – zumal die Kosten auch zwischen Landwirtschaft- und Naturschutz-Budget geteilt werden könnten.

Wie viele Tierhalter:innen betreiben aktuell Herdenschutz und gibt es Beweise für die Wirksamkeit?

Herdenschutzmaßnahmen sind als Teil von Herden- und Weidemanagementmaßnahmen zu sehen und fachlich anspruchsvoll. Wie viele Nutztierhalter:innen aktiv fachgerechten Herdenschutz umsetzen, ist nicht seriös ermittelbar. In Herdenschutzmaßnahmen miteingeschlossen sind schließlich auch die im Tal gängigen elektrifizierten Netzzäune für Schafe.

Zu beachten gilt, dass es auch mit fachgerechten Herdenschutzmaßnahmen keinen hundertprozentigen Schutz vor Nutztierrissen gibt. Doch dort, wo Herdenschutzmaßnahmen flächendeckend zum Einsatz kommen, nehmen sowohl die Anzahl der Übergriffe als auch die Zahl der pro Übergriff getöteten Tiere deutlich ab. Auf den Tiroler Pilotalmen sehen wir, dass es auch heuer wieder keine Verluste durch große Beutegreifer gab – trotz Präsenz von Wolf und Bär.

Wird Herdenschutz durch die Regierung finanziell gefördert?

Präventive Maßnahmen gegen Risse durch Beutegreifer dürfen nach EU-Richtlinien bis zu 100 Prozent gefördert werden und es stehen dafür auch EU-Gelder bereit, doch Österreich nutzt diese Mittel leider noch nicht ausreichend für Herdenschutz. Zwar gibt es beispielsweise eine sogenannte Behirtungsprämie. Für die Anstellung von Hirtenpersonal – was dem Namen nach ja Sinn und Zweck der Förderung sein sollte – ist die Fördersumme allerdings viel zu gering.

Um hier wirklich einen Anreiz zu schaffen, bräuchte es gestaffelte Fördergelder wie in der Schweiz. Die höchsten Fördersätze gibt es dort für Almen, auf denen die Tiere durch Hirtinnen oder Hirten gelenkt werden. Almen mit frei herumlaufenden Tieren bekommen hingegen die niedrigste Fördersumme pro Tier.

In Österreich werden durch große Beutegreifer getötete Nutztiere finanziell abgegolten. Wie läuft das ab und gibt es Verbesserungsbedarf?

Werden Risse gemeldet, werden diese von einer Rissbegutachterin oder einem Rissbegutachter untersucht. Diese entnehmen in der Regel auch Proben zur genetischen Überprüfung auf Wolf oder Bär.

Wurden Tiere nachweislich von großen Beutegreifern getötet, folgt eine finanzielle Entschädigung. Manche Bundesländer entschädigen zusätzlich Fälle, bei denen die Todesursache nicht mehr bestimmt werden konnte, wenn in der Region zeitgleich ein Wolf unterwegs war. Ein Anreiz für aufwändige Herdenschutzmaßnahmen ist diese Vorgehensweise vermutlich nicht.

Ein anderer Aspekt ist, dass hierzulande die Entschädigungszahlung auch in Gebieten mit dauerhafter Wolfspräsenz (z.B. Rudelgebieten) nicht an das Vorhandensein von Herdenschutz gebunden ist, obwohl dieser ja mittlerweile fast überall gefördert wird. Das ist in unseren Nachbarländern anders, da werden Risse danach entschädigt, ob Herdenschutz nachgewiesen werden kann.

Haben Sie einen Vorschlag, wie sich das Förderwesen in Österreich ändern müsste, um Herdenschutz für unsere Landwirtinnen und Landwirte leichter zugänglich zu machen?

Wir leben zwar in einem föderal strukturierten Land, aber es ist dennoch nicht nachvollziehbar, dass jedes Bundesland andere Fördersätze hat. Es gibt genügend Beispiele, in denen Landwirtinnen und Landwirte in Grenzregionen ihre Tiere auf Almen im Nachbarbundesland auftreiben. Auch die verschiedenen Entschädigungsregelungen sind nicht hilfreich für die Toleranz gegenüber den großen Beutegreifern.

Unter anderem für die Harmonisierung dieser Managementstrukturen wurde das „Österreichzentrum Bär, Wolf, Luchs“ geschaffen. Dort sollten die Vorschläge zur besseren Förderung von Herdenschutz erarbeitet und beschlossen werden.

Welche Botschaft möchten Sie unseren Leser:innen mitgeben?

Die Diskussion um den Wolf, um Naturschutz insgesamt, hat sich verrannt. Das hat man auch an der Debatte um das Renaturierungsgesetz deutlich gesehen. Ich finde es schade, wie viel negative Energie dem Thema gewidmet wird und wie viele Menschen mit unterschiedlichen Zugängen sich gegenseitig Vorwürfe machen. Das bringt uns nicht weiter.

Wir sind und bleiben soziale Wesen und sollten uns auf unsere kooperativen Fähigkeiten konzentrieren, um gemeinsam Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit zu erarbeiten, die auch wirksam sind. Dafür braucht es auch eine gewisse Offenheit für Veränderungen – von allen.

Artenschutzkoordinator Lucas Ende vom Naturschutzbund Österreich hat Biologie und internationalen Naturschutz studiert. Seit 2017 arbeitet er zur Rückkehr der Wölfe und setzt sich für den Dialog und konstruktive Lösungen für ein Leben miteinander ein.

 

Bildrechte: Simone Neher

Artenschutz durch ein Bundes-jagdgesetz!

Zusammen mit dem ökologischen Jagdverband, dem VGT und anderen Expertinnen und Experten fordern wir einen strengen Artenschutz in der österreichischen Jagd!

Volksbegehren unterstützen! 

Wenn Sie sich für Artenschutz einsetzen wollen, unterschreiben sie unser Volksbegehren für ein Bundeseinheitliches Jagdgesetz, wo wir auch noch andere wichtige Reformen fordern, um die Jagd ökologisch und tierschutzgerecht zu machen!

Sie wollen unseren WIldtieren helfen?

Unterstützen Sie uns mit einer Spende bei der Pflege unserer Wildtiere in Not oder übernehmen Sie eine individuelle Patenschaft für eines unserer anderen Tiere!

 

Das könnte Sie auch interessieren

Zum Newsletter anmelden Newsletter schließen