Auf einen Blick:
- In Spanien soll die erste Intensivtierhaltung für Oktopusse gestartet werden
- Schlechte Haltungsbedingungen und hohe Sterblichkeitsraten werden miteinkalkuliert
- Billiges Oktopusfleisch kurbelt Umweltzerstörung und Biodiversitätsverlust an
Ein träumender Oktopus verändert die Welt
Heidi lebt im Aquarium des Meeresbiologen David Scheel. Sie ist neugierig, spielt und interagiert gerne mit Menschen. Und sie träumt.
Viele Zuseher:innen dürften sich bei den 2019 viral gegangenen Aufnahmen eines schlafenden Oktopusses das erste Mal Gedanken über die Gefühle dieser hochkomplexen Weichtiere gemacht haben [1]. Die Wissenschaft weiß jedoch schon lange Bescheid über die interessanten kognitiven Fähigkeiten der Kopffüßler [2]. Überraschend also, dass erst preisgekrönte Dokumentationen auch die Allgemeinheit für die klugen Oktopoden begeistern konnten.
Leider scheint aber weder ihre Intelligenz noch ihre neue Medienpräsenz Oktopusse davor zu bewahren, bald in tierwohlwidrigen Massentierhaltungssystemen gezüchtet zu werden. Bis jetzt war es aufgrund der hohen Ansprüche der Tiere nicht möglich, sie industriell zu vermehren. Jeder verspeiste Oktopus stammt daher ursprünglich als Wildfang aus den Meeren. Schätzungen zufolge werden jährlich etwa 350.000 Tonnen Oktopus gejagt. Tendenz steigend. Ihre Fangquote hat sich seit 1950 sogar mehr als verzehnfacht [3]. 2019 versprach die spanische Firma Nueva Pescanova schließlich, den Oktopusmarkt zu revolutionieren. Ihnen sei es gelungen, Oktopusse auch industriell zu züchten [4].
Oktopusfarmen mit artwidrigen Haltungs- und Schlachtungsbedingungen
Der Preis für die Tiere ist hoch. Über 1 Mio. Oktopusse sollen künftig jährlich auf den Kanarischen Inseln gezüchtet, aufgezogen und geschlachtet werden. Das entspricht etwa 3.000 Tonnen Oktopus. Um diese enorme Anzahl an Tieren unterzubringen, sollen pro Kubikmeter Wasser 10-15 Individuen gehalten werden. Die kleinen Tanks werden zudem teils ganztägig beleuchtet, um den Reproduktionszyklus der Weibchen zu beschleunigen [5].
Bei den nachtaktiven Einzelgängern führt eine derartige Dichte an Artgenossen zu erheblichem Stress. Die Firma selbst gab in einem Positionspapier an, mit einer Mortalitätsrate von 10-15 % zu kalkulieren. Von den jährlichen 1 Mio. Tieren werden also laut firmeneigener Angabe vermutlich bis zu 150.000 Individuen an den Haltungsbedingungen sterben, bevor sie geschlachtet werden können [3].
Auch die Schlachtung selbst alarmiert Tierschützer:innen und Wissenschaftler:innen. Bei der sogenannten „ice slurry“-Methode werden die Tiere in -3 C° kaltes Eiswasser getunkt, bis sie am Kälteschock sterben. Zahlreiche Studien belegen mittlerweile den langsamen und grausamen Tod, den noch immer auch viele Fischarten dadurch erleiden müssen. Aquaculture Stewardship Council (ASC), besser bekannt durch das gleichnamige ASC-Siegel, hat deshalb angekündigt, die ice slurry-Methode für unbetäubte Fische zu verbieten. Auch die European Food Safety Authority (EFSA) rät mittlerweile von der Methode ab [3].
Oktopusfarmen treiben Umweltzerstörung und Überfischung weiter voran
Außerdem bringen industriell gehaltene Oktopusse große Umwelt- und Artenschutzprobleme mit sich. Als Carnivore sind Oktopusse auf eine Fütterung mit kleinen Fischen, Krabben oder Muscheln angewiesen. Diese Tiere sind meist Wildfänge und werden zu Fischmehl oder Fischöl verarbeitet. Während Nueva Pescanova also behauptet, mit ihrer Oktopusfarm wildlebende Oktopusse entlasten zu wollen, erhöhen sie den Jagddruck auf andere Arten unserer ohnehin schon überfischten Meere [5].
Unklar ist auch, wie mit den Abwässern der Oktopusfarm umgegangen wird. Die hohen Fäkalien- und Medikamentenmengen, die bei verschiedensten Aquakultursystemen in umliegende Gewässer entweichen, sind heute bereits ein großes Problem. Nueva Pescanova gibt lediglich an, sich an geltende Gesetze zu halten und Abwässer gefiltert zurück ins Meer pumpen zu wollen. Um welche Mengen es sich handelt und welche Verfahren zum Einsatz kommen, wurde der Öffentlichkeit hingegen verschwiegen [3].
Erste Staaten erkennen das Leid der Oktopusse!
Da Oktopusse zuvor nicht industriell gezüchtet wurden und ihre Intelligenz und Leidensfähigkeit lange geleugnet wurde, führen die meisten Länder die Tiere nicht in ihren Tierschutzgesetzen. Auch in Spanien sind die aktuellen schlechten Haltungs- und Tötungsbedingungen nur möglich, weil offizielle Standards fehlen [3].
Doch es gibt Hoffnung. Als eines der ersten Länder hat Großbritannien Ende 2021 neben Oktopussen, auch Krabben, Hummern und anderen Weichtieren Gefühle und Schmerzempfinden zugesprochen [6]. Das geschah, nachdem Wissenschaftler:innen mehr als 300 Untersuchungen über das Schmerzempfinden und die Kognition von Weichtieren zu einer Übersichtsstudie zusammengetragen haben [2]. Die Tiere haben nun mehr Rechte und eine Reihe tierquälerischer Methoden sind bereits verboten oder können endlich juristisch angegriffen werden [6].
Österreich ist schon jetzt ein Oktopusland!
Auch in Österreich sollten uns die Oktopusse aus Spanien beschäftigen. Abgesehen von den kollektiven Schäden für Umwelt und Klima, die durch jegliche Massentierhaltung entstehen, wird eine industrielle Oktopus-Produktion die Fleischpreise der Tiere senken. Damit einher gehen neue Märkte und mehr Nachfrage, die wiederrum die Jagd in freier Wildbahn ankurbeln [3].
Österreich hat viel Potential, zu einem starken Oktopus-Importeur zu werden und damit auch hierzulande den globalen Teufelskreis der Umweltzerstörung und Ausbeutung der Meere zu bedienen. Schon jetzt geben über 84 % der Österreicher:innen an, mindestens 1-3 Mal im Monat Fisch und Meeresfrüchte zu konsumieren [7]. Gefrorene Fische und Meeresfrüchte liefern im österreichischen Einzelhandel sogar mehr Umsatz als Tiefkühlgemüse [8]. Oktopusse sind also hierzulande bereits beliebt und günstigere Preise werden auch bei uns die Nachfrage erhöhen.
Fazit
Die Oktopusfarm in Spanien sorgt zurecht für viel Diskussion. Umweltzerstörung und Artenverlust entstehen dadurch ebenso wie viel Tierleid. Auch in Österreich sollte man sich der Auswirkung der eigenen Kaufentscheidung bewusst sein und Fleisch aus Massentierhaltungssystemen nicht weiter unterstützen.
[1] YouTube und Nature on PBS, Ausschnitt aus „Octopus: Making Contact“, (23. September 2023). Zugegriffen: 9. Juli 2023. [Online Video]. Verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=0vKCLJZbytU
[2] I. Zarrella, G. Ponte, E. Baldascino, und G. Fiorito, „Learning and memory in Octopus vulgaris: A case of biological plasticity“, Current Opinion in Neurobiology, Bd. 35. Elsevier Ltd, S. 74–79, 1. Dezember 2015. doi: 10.1016/j.conb.2015.06.012.
[3] BBC und C. Marshall, „World’s first octopus farm proposals alarm scientists – BBC News“, 16. März 2023. https://www.bbc.com/news/science-environment-64814781 (zugegriffen 9. Juli 2023).
[4] Nueva Pescanova Group, „Researchers from Pescanova achieve to close the reproduction cycle of octopus in aquaculture – Nueva Pescanova“, 18. Juli 2019. https://www.nuevapescanova.com/en/2019/07/18/researchers-from-pescanova-achieve-to-close-the-reproduction-cycle-of-octopus-in-aquaculture/ (zugegriffen 9. Juli 2023).
[5] Compassion in World Farming und E. Lara, „Octopus Factory Farming: A Recipe for Disaster“, Okt. 2021.
[6] UK Department for Environment, Food & Rural Affairs und Lord Goldsmith, „Animals to be formally recognised as sentient beings in domestic law – GOV.UK“, 13. Mai 2021. https://www.gov.uk/government/news/animals-to-be-formally-recognised-as-sentient-beings-in-domestic-law (zugegriffen 9. Juli 2023).
[7] STATISTA, Universtität Wien, und Arbeiterkammer Wien, „Häufigkeit des Konsums ausgewählter Lebensmittel in Österreich 2020“, Apr. 2021.
[8] STATISTA und Nielsen, „Umsatz mit Tiefkühlprodukten in Österreich nach Produktsegmenten 2020“, März 2021.