Auf einen Blick:
- Kein umfassender Schutz: Versuchstiere sind vollständig aus dem Tierschutzgesetz ausgenommen, ihre Haltung und Nutzung unterliegt allein dem weit schwächeren Tierversuchsgesetz.
- Haltungsbedingungen unzureichend: Versuchstiere leben in Käfigen, die kleiner und karger ausgestattet sind als die für Heimtiere vorgeschriebenen.
- Tötung ohne Grund erlaubt: Tiere, die für Versuche gezüchtet wurden, aber nicht verwendet werden, haben kaum Schutzregelungen und dürfen für finanzielle Vorteile getötet werden.
- Keine Einspruchsmöglichkeiten für den Tierschutz: Tierschutz-NGOs und Ombudspersonen haben im Tierversuchsbereich keine Möglichkeit, Genehmigungen von Tierversuchen anzufechten oder Einspruch einzulegen.
- Straflosigkeit bei Verstößen: Verstöße gegen das Tierversuchsgesetz bleiben oft unbestraft, da es kaum Sanktionen für Misshandlungen oder schlechte Haltungsbedingungen vorsieht.
Versuchstiere sind aus dem Tierschutzgesetz ausgeschlossen
Ein Tier, das für Tierversuche vorgesehen ist, ist dezidiert von unserem bundesweiten Tierschutzgesetz ausgenommen. Stattdessen gilt das weit schwächere und unschärfere Tierversuchsgesetz. Tierschutz ist in Österreich damit zwar Teil unserer Verfassung, trotzdem werden dieselben Tierarten, abhängig von ihrem Verwendungszweck, unterschiedlich geschützt.
„Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher.“
– George Orwell, Farm der Tiere
Damit wird ignoriert, dass Versuchstiere dieselben Empfindungen und Bedürfnisse haben wie alle anderen Tiere. Das ist nicht nur ein ethisches Problem, sondern auch ein Vertrauensbruch gegenüber der Öffentlichkeit, die darauf vertraut, dass Österreichs Tiere in allen Lebensbereichen angemessen geschützt werden.
Haltungsbedingungen sind weit unter Tierschutzstandards
Die Nutzung und der Schutzstatus von Versuchstieren orientieren sich überwiegend an wissenschaftlichen und kommerziellen Kriterien, während ethische Aspekte oft zu kurz kommen. Nur so lässt sich erklären, dass zwei Labor-Beagle ihr Leben in 4 m2 großen Käfigen verbringen müssen, während ein Familienhund nicht ununterbrochen in Zwingern gehalten werden darf und ihm dort mindestens 15 m2 Platz zur Verfügung gestellt werden müssen.
Die im Tierversuchsgesetz geregelten Haltungsstandards fallen demnach deutlich hinter die Mindestanforderungen des Tierschutzgesetzes zurück und bedeuten oft ein Leben in Enge und ohne ausreichende Beschäftigung oder Rückzugsmöglichkeiten. Für die Tiere führt dies unweigerlich zu physischen und psychischen Leiden und widerspricht den modernen Erkenntnissen der Verhaltens- und Kognitionsforschung. Hinzu kommen die Belastungen, die viele Versuchstiere im Rahmen der Experimente erdulden müssen.
Tötung ohne „vernünftigen Grund“ erlaubt
Das Tierversuchsgesetz erlaubt außerdem die Tötung von „Überschusstieren“ – das sind Tiere, die für Versuche gezüchtet wurden, aber nicht verwendet werden, etwa weil für einen Versuch lediglich männliche Tiere eingesetzt werden sollen. Während das Tierschutzgesetz eine Tötung nur mit „vernünftigem Grund“ gestattet und wirtschaftliche Gründe explizit ausschließt, wird der rein wirtschaftliche „Überschuss“ im Tierversuchsgesetz nicht hinterfragt.
Aktuell genügt laut Tierversuchsgesetz die Absicht, ein Tier für einen Tierversuch zu verwenden, um es unter geringeren Haltungsbedingungen als im Tierschutzgesetz sonst vorgeschrieben, unterzubringen.
Das erlaubt absurde Doppelstandards: Züchter:innen, die beispielsweise sowohl Kaninchen für die Fleischproduktion als auch für Tierversuchs-Industrie züchten, können ihre Tiere bereits unterschiedlich halten. Während für landwirtschaftlich genutzte Kaninchen ein Verbot von Drahtgitterböden gilt, um mehr Komfort zu gewährleisten, können für Versuche vorgesehene Kaninchen auf ebensolchen Drahtgitterböden gehalten werden.
Wie viele Tiere davon genau betroffen sind, wissen wir nicht, da Überschusstiere nicht in der österreichischen Tierversuchsstatistik abgebildet sind. Bei Jährlich etwa 200.000 Tierversuchen, werden geschätzt aber mindestens gleichviele Tiere zusätzlich als Überschuss getötet (lesen Sie HIER mehr über die Dunkelziffern der Tierversuche). Nicht-Labortiere haben in Österreich hingegen das Recht, vor einer unnötigen Tötung geschützt zu werden. So sind etwa die Tötung von überzähligen Katzenbabys oder „unbrauchbaren“ Jungtieren in der Landwirtschaft mittlerweile größtenteils illegal.
Tierschutzinstitutionen haben kaum Mitsprache
Im Bereich des Tierversuchsrechts haben Tierschutzinstitutionen kaum Mitspracherechte. Zwar wurde eine sogenannte Bundestierschutzkommission eingerichtet, wo auch Vertreter:innen aus Tierschutzorganisationen beteiligt sind. Jedoch hat die Kommission lediglich beratende Funktionen und keine Parteistellung. Das bedeutet, die Kommission kann nicht aktiv mitentscheiden, ob ein Tierversuch zugelassen wird, bzw. Beschwerde bei einer höheren Instanz dagegen einlegen.
In Deutschland und der Schweiz haben Tierschutzorganisationen deutlich mehr Möglichkeiten, bei Tierversuchen mitzureden als in Österreich. Das führt dazu, dass dort Tierschutzangelegenheiten deutlich stärker berücksichtigt werden.
In Deutschland spielen Tierversuchskommissionen auf Landesebene eine wichtige Rolle bei der Genehmigung von Tierversuchen: Sie beraten die Behörden, prüfen die wissenschaftliche Notwendigkeit und ethische Vertretbarkeit und geben Stellungnahmen ab, die bei Entscheidungen berücksichtigt werden müssen. Darüber hinaus können deutsche Tierschutzorganisationen eine Feststellungsklage einreichen, um die Rechtswidrigkeit einer Tierversuchsgenehmigung prüfen zu lassen – ein Urteil, das dann auch zukünftige Verfahren beeinflussen kann.
In der Schweiz kann das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen Entscheidungen zu Tierversuchen auf kantonaler Ebene anfechten. In Kantonen wie Zürich dürfen auch die Tierversuchskommissionen selbst Einspruch gegen Entscheidungen einlegen, wenn sie Zweifel haben, ob ein Versuch gerechtfertigt ist. Diese Kommissionen dürfen zudem Empfehlungen abgeben, denen die Behörden meist folgen müssen.
Anders sieht es in Angelegenheiten des Tierschutzgesetz aus. Hier haben die Tierschutzombudsopersonen der Bundesländer in einigen Bereichen bereits Parteistellung, die es ihnen erlaubt, aktiv im Interesse des Tierschutzes tätig zu sein. Sie können beispielsweise in tierschutzrechtlichen Verfahren eine gerichtliche Beschwerde einreichen, haben das Recht in Verfahren angehört zu werden und erhalten Einsicht in relevante Akten.
Verstöße bleiben ohne Konsequenzen
Ein letztlich besonders bitterer Teil am Tierversuchsgesetz sind die Mängel bei den Strafbestimmungen. Selbst wenn Verstöße gegen die Haltungsbedingungen aufgedeckt werden, bleiben sie in der Praxis meist unbestraft, wie zuletzt etwa bei einer Tierpflegerin, die ca. 100 Labormäuse verhungern und verdursten ließ. Verstöße gegen das Tierschutzgesetz werden hingegen konsequenter geahndet und können zu Strafen und zur Beschlagnahmung misshandelter Tiere führen.
Ohne die Möglichkeit einer wirksamen Kontrolle und Sanktionsverfolgung bleibt der Schutz von Tieren, die für Tierversuche vorgesehen sind, oft lediglich ein Lippenbekenntnis. Besonders bedenklich ist, dass selbst bei schweren Verstößen die Behörden oft nicht eingreifen können, da ihnen rechtliche Befugnisse wie die Beschlagnahmung fehlen.
Fazit: Das Tierversuchsgesetz braucht eine Reform
Die Ungleichbehandlung von Versuchstieren im österreichischen Recht ist ethisch nicht vertretbar und führt zu enormem Leid. Wir fordern seit langem eine grundlegende Reform des Tierversuchsgesetzes, um diese Missstände zu beseitigen und Versuchstiere unter denselben Schutz wie andere Tiere zu stellen. Eine Angleichung der Haltungsbedingungen an die Standards des Tierschutzgesetzes, eine konsequente Strafverfolgung und das Mitspracherecht für Tierschutzvertreter:innen sind dabei zentral.
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Neymeyer, J. (2024). Zwischen Ethik und Erkenntnisgewinn: Der überfällige rechtliche Reformbedarf im österreichischen Tierversuchswesen. TiRuP. https://doi.org/10.35011/tirup/2024-8