Krimi in Brüssel II – Renaturierungsgesetz im EU-Parlament angenommen!

Das lang erhoffte Renaturierungsgesetz zur Wiederherstellung unserer Biodiversität übersteht eine weitere wichtige Hürde. Was das für uns und unsere Natur bedeutet und wie der Krimi um Europas Biodiversität weitergeht – HIER!

EU

Auf einen Blick

  • Die europäische Verordnung zu Wiederherstellung der Natur überwindet ihre vermeintlich letzte große Hürde im EU-Parlament
  • Auf über 20 % der EU-Fläche sollen bis 2030 Renaturierungsmaßnahmen starten, um auch in Zukunft nachhaltig zu wirtschaften und Lebensmittelsicherheit zu garantieren
  • Obwohl das Gesetz abgeschwächt wurde, sind wichtige Kernelemente erhalten geblieben

Renaturierungsgesetz meistert entscheidende Hürde

Es waren emotionale Momente, als die lang erhoffte Nachricht kam, dass die Verordnung über die Wiederherstellung der Natur, kurz Renaturierungsgesetz, eine weitere entscheidende Hürde gemeistert hat: Letzte Woche nahm das EU-Parlament den lang diskutierten Gesetzesentwurf mit 329-Ja zu 275-Nein Stimmen an. Nun fehlt nur noch die Bestätigung durch den EU-Rat – für gewöhnlich eine Formsache.

Mit dem Renaturierungsgesetz soll Europa zur weltweit ersten Ländergemeinschaft werden, die mit einem bindenden Naturschutzgesetz, nicht nur den Erhalt, sondern auch die Wiederherstellung von Ökosystemen sichert. Damit ist das Renaturierungsgesetz das Herzstück des europäischen Green Deals, um klimaneutral zu werden und für Europa eine nachhaltige Zukunft zu schaffen.

Die drei wichtigsten Ziele des Renaturierungsgesetzes sind:

  1. Wiederherstellung und Erhalt der Biodiversität: Durch die Wiederherstellung von Land- und Wasserökosystemen sollen unsere Artenvielfalt geschützt und die Widerstandsfähigkeit gegen Klimawandel und Naturkatastrophen gesteigert werden.
  2. Grünere und lebenswertere Städte: Städte sollen an den Klimawandel angepasst und ihre Biodiversität erhöht werden, um für Mensch und Natur lebenswerter zu werden.
  3. Nachhaltige Landwirtschaft: Die Förderung von biodiversitätsreichen landwirtschaftlichen Ökosystemen soll Lebensmittelsicherheit gewährleisten und Arbeitsplätze in ländlichen Gebieten schaffen.

Alle gewinnen durch Renaturierung

Beim Renaturierungsgesetz will man aus den Fehlern und Lücken bisheriger Natur- und Klimaschutzgesetze lernen. Bisherige Naturschutzgesetze, etwa die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) und die Vogelschutzrichtlinie, enthalten zwar wichtige juristische Grundsteine, konnten unsere Natur aber nicht ausreichend vor der Zerstörung bewahren. Kernpunkte sind deshalb die erstmalig bindenden Ziele für unsere Land- und Meeresökosysteme, zum Beispiel:

  • Bis 2030 müssen in mindestens 30 %, bis 2050 in 90 % der geschädigten Ökosysteme Renaturierungsmaßnahmen gestartet sein. Bis 2030 sind das 20 % der gesamten EU-Fläche.
  • Bis 2030 sollen für 30 %, bis 2050 für 50 % der entwässerten Moore Renaturierungsmaßnahmen auf den Weg gebracht. Jeweils ein Drittel der renaturierten Flächen sollen auch wieder vernässt werden.
  • Zudem müssen mehrere Ökosystemindikatoren verbessert, über 3 Mrd. zusätzliche Bäume gepflanzt und mindestens 25.000 km Flussland so renaturiert werden, dass die Gewässer wieder frei fließen.

Über 6.000 Wissenschaftler:innen, NGOs und sogar Großkonzerne wie IKEA haben im Vorfeld vehement auf die Notwendigkeit von Renaturierung hingewiesen. Obwohl die FFH-Richtlinie vor über 30 Jahren beschlossen wurde, sind 81 % der europäischen Lebensräume und 70 % unserer Böden in einem schlechten Zustand sowie 30 % der Bienen- und Schmetterlingsarten vom Aussterben bedroht.

Renaturierung lohnt sich auch finanziell!

Renaturierungsbestrebungen haben auch konkrete finanzielle Vorteile: Über die Hälfte des globalen BIPs steht in direktem Zusammenhang mit der Natur. Die Renaturierung lohnt sich dabei extrem. Je nach wiederhergestelltem Ökosystem erhält man durch die Ökosystemleistungen pro einem ausgegebenen Euro 4 bis 38 Euro zurück.

Die Rechnung ist einfach: Renaturierung ist sowohl finanziell möglich als auch unbedingt notwendig. Für die Renaturierung in der EU rechnen NGOS aktuell mit jährlichen Kosten von 20 bis 30 Mrd. Euro. Allein die Verschlechterung der Bodenqualität kostet uns jährlich ca. 50 Mrd. Euro.

Die EU hat angekündigt, die Kosten für die Umsetzung des Renaturierungsgesetzes größtenteils aus verschiedenen EU-Töpfen stemmen zu wollen. Bis 2027 stehen der EU durch die Gemeinsame Agrarpolitik 100 Mrd. Euro für Biodiversitätsförderung zur Verfügung. Spätestens in einem Jahr sollen konkrete Finanzierungsvorschläge vorliegen.

Ohne Renaturierung verlieren wir wichtige Ökosystemleistungen. Was das bedeutet, sehen wir schon heute: begradigte Flüsse und zerstörte Auen bieten keinen ausreichenden Hochwasserschutz, kranke Wälder setzen Treibhausgase frei, anstatt sie zu speichern, und der schwindende Bestand an bestäubenden Insekten stellt eine ernste Gefahr für die Lebensmittelproduktion dar.

Zähe Verhandlungen über endgültigen Gesetzestext

Bereits letztes Jahr wäre das Gesetz beinahe an einer Fake-News-Kampagne durch die rechten und konservativen EU-Fraktionen gescheitert (lesen Sie HIER mehr). Doch Seite an Seite mit Grünen, Sozialdemokraten und Liberalen folgten wider Erwarten auch einige konservative Politiker:innen nicht der eigenen Parteilinie und verhinderten letzten Sommer, dass das Vorhaben vollständig abgeschmettert wurde.

Um bei den anschließenden Trilogverhandlungen zwischen EU-Kommission, EU-Parlament und EU-Mitgliedsstaaten eine gemeinsame Einigung zu erzielen, wurden konservative Änderungswünsche fast ausnahmslos in den Gesetzesentwurf aufgenommen. Der Kompromiss, der letzten November von den Fraktionen verkündet wurde, sollte dadurch die Interessen aller Stakeholder ausreichend mitberücksichtigen. Überraschend stellte sich die Mehrheit der konservativen Fraktion bei der EU-Parlamentsabstimmung letzte Woche dennoch quer.

Politiker:innen, andere NGOs und wir kritisieren dieses undemokratische Vorgehen der konservativen Fraktion. Deren Richtungswechsel in letzter Minute ist vermutlich eine Reaktion auf die kommende EU-Wahl und die EU-weiten Proteste vieler Landwirtinnen und Landwirte. Proteste, die nicht zuletzt durch politisch gestreute Missinformation über den europäischen Natur- und Klimaschutz weiter angeheizt werden. Dabei ist vor allem der landwirtschaftliche Sektor von gesunden Ökosystemen abhängig und durch die Klimakrise gefährdet.

Gesetzestext ist stärker als befürchtet

Dass das Renaturierungsgesetz deutlich abgeschwächt wurde, um der konservativen Fraktion (letztlich vergebens) entgegenzukommen, ist besonders ärgerlich. Die Landwirtschaft bekam viele Zugeständnisse: Etwa sind viele Maßnahmen für Landwirtinnen und Landwirten lediglich freiwillig. Wenn Ertragseinbrüche befürchtet werden, können Renaturierungsprojekte sogar bis zu einem Jahr ausgesetzt werden. Außerdem sollen sich die Mitgliedsstaaten bis 2030 vor allem auf bestehende Natura 2000 Naturschutzgebiete konzentrieren, die ohnehin nur eingeschränkt landwirtschaftlich genutzt werden.

Immerhin blieben die Kernziele des Renaturierungsgesetzes erhalten. Über 30 konkrete Beispiele sollen zudem vielfältige Möglichkeiten zur Renaturierung aufzeigen. Dazu gehört die Reduzierung von Düngern und Pestiziden, das Anlegen naturnaher Vegetationsstreifen und Hecken, das Belassen von Totholz, groß angelegte Umgestaltungsmaßnahmen von Wäldern und Auen, etc. Besonders die Wiedervernässung von Mooren hat viel Potenzial. Landwirtschaftlich genutzt, können diese Flächen weiterhin werden.

Wie geht es weiter?

Dass das Renaturierungsgesetz jetzt noch scheitert, gilt zwar als unwahrscheinlich, ist aber nicht ausgeschlossen. Sofern es auch durch den EU-Rat angenommen wird, tritt es innerhalb von 20 Tagen in Kraft. Anschließend haben die Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit, um ihre Renaturierungspläne auszuarbeiten und an die EU zu übermitteln.

Bis große Renaturierungswellen kommen, könnte es dennoch noch dauern. Die EU-Kommission muss die Pläne zwar binnen 6 Monaten bewerten und etwaige Verbesserungsvorschläge machen. Anders als lange gehofft und gefordert, sind die von der EU vorgeschlagenen Anpassungen an den Länderplänen zu „berücksichtigen“, aber nicht verpflichtend. Vermutlich wird viel Druck von NGOs und der Öffentlichkeit notwendig sein, um die Trägheit unserer Regierungen zu überwinden.

Fazit:

Renaturierung ist unerlässlich im Kampf gegen Biodiversitätsverlust und Klimakrise. Indem endlich rechtlich bindende Ziele gesetzt werden, soll Europas Naturschutz auf Kurs gebracht werden. Der letzte Schritt zur Umsetzung des Renaturierungsgesetz gilt als Formsache, doch bis Renaturierungsmaßnahmen ins Rollen kommen, kann es noch einige Jahre dauern.

EPRS European Parliamentary Research Service und V. Halleux, „BRIEFING EU Legislation in Progress Proposal for a regulation of the European Parliament and of the Council on nature restoration“, Feb. 2024.

EPRS – Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments und V. Halleux, „Verordnung über die Wiederherstellung der Natur“, Feb. 2024, Zugegriffen: 5. März 2024. [Online]. Verfügbar unter: http://www.europarl.europa.eu/thinktank

„EU-Renaturierungsgesetz: Wird das wieder gut? | ZEIT ONLINE“. Zugegriffen: 5. März 2024. [Online]. Verfügbar unter: https://www.zeit.de/2023/48/eu-renaturierungsgesetz-landwirtschaft-moore

„The EU #NatureRestoration Law“. Zugegriffen: 5. März 2024. [Online]. Verfügbar unter: https://environment.ec.europa.eu/topics/nature-and-biodiversity/nature-restoration-law_en

B. D. Hering u. a., „Securing success for the Nature Restoration Law“, Science (1979), Bd. 382, Nr. 6676, S. 1248–1251, Dez. 2023, doi: 10.1126/SCIENCE.ADK1658.

„FAQ zum EU-Renaturierungsgesetz: Worum geht es bei dem Gesetz? – Spektrum der Wissenschaft“. Zugegriffen: 5. März 2024. [Online]. Verfügbar unter: https://www.spektrum.de/news/faq-zum-eu-renaturierungsgesetz-worum-geht-es-bei-dem-gesetz/2208692?utm_source=sdwv_daily&utm_medium=nl&utm_content=heute

 

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