Tschickstummel

Es ist nichts Neues, dass Zigaretten der Gesundheit schaden. Dass falsch entsorgter Zigarettenfilter und Tabakreste zusätzlich derartig gefährlich für unsere Umwelt sind, dass die EU sie sogar als hochgiftigen Sondermüll einstuft [1], scheint der breiten Masse der Bevölkerung hingegen nicht geläufig zu sein.

Ein loderndes Umweltproblem

In Umfragen haben fast 75 % der Befragten angegeben, ihre Zigarettenreste bereits gedankenlos am Straßenrand, in einem Gully oder sogar mitten in der Natur zurückgelassen zu haben. Entscheidend für solches Verhalten ist, ob die Befragten Zigarettenstummel als toxische Gefahr und nicht nur unschöne Verschmutzung wahrnehmen. Menschen, denen die  schädlichen Umweltauswirkungen von Zigarettenstummeln nicht bewusst sind,   sind etwa 3,5 Mal eher dazu verleitet, ihre Zigaretten einfach zu Boden zu werfen [2]. Tierschutz Austria will mehr zum Problem der Zigarettenstummel aufklären und euch zeigen, wie jede und jeder selbst aktiv werden kann.

Müllberge

Weltweit werden jährlich über 5,7 Billionen Zigaretten produziert, von denen der Großteil – Schätzungen sprechen von fast 4,5 Billionen (also 4.500.000.000.000!) – unsachgemäß in der Umwelt entsorgt werden [3]. Konservative Schätzungen gehen davon aus, dass auf diese Weise jährlich etwa 1.200.000 Tonnen Zigarettenstummel in der Umwelt entsorgt werden [4]. Die WHO spricht sogar von 3.400.000 bis 6.800.000 Tonnen [5]. Vor allem in Städten ist die Belastung durch Zigarettenstummel enorm. Eine Studie in Berlin fand heraus, dass im Durchschnitt jeder Quadratmeter der untersuchten Flächen von 5,2 Zigarettenstummel verschmutzt worden sind. Nahe Bahnhöfen stieg diese Zahl sogar auf beinahe 50 Stummel pro Quadratmeter [1]. Damit zählen Zigarettenstummel bei weitem zu der größten Verschmutzung auf Straßen, Gehsteigen und öffentlichen Plätzen [4].

Folglich überrascht es nicht, dass übriggebliebene Filter weltweit einen großen, mancherorts sogar den größten Anteil an gesammeltem Müll ausmachen [6]. Zigarettenstummel in Natur und Umwelt stören aber nicht nur das Auge. Es entstehen auch gewaltige Mengen an giftigem Abfall. Und ein Ende ist nicht in Sicht: Angetrieben vom Populationswachstum werden die Mengen an Zigarettenmüll bis 2025 vermutlich um weitere 50 % steigen [4].

Hoch-toxischer Abfall

Nicht nur die schiere Menge an Abfall ist ein Problem. Untersuchungen gehen von etwa 4.000 [7] bis 7.000 [5] chemischen Inhaltstoffen in Zigarettenstummeln aus, die toxisch auf Gesundheit und Umwelt wirken. Mindestens 50 Stoffe davon sind für Menschen nachweislich karzinogen. Diese Stoffe werden durch Regen, Schneeschmelze oder bei Entsorgung in Gewässer freigesetzt [5]. Die EU listet daher Zigarettenstummel als Sondermüll [1].

Neben Schwermetallen und giftigen organischen Stoffen, spielt vor allem Nikotin eine große Rolle. Nikotin ist ein Nervengift, dass von Pflanzen als natürliches Pestizid produziert wird. Seit dem 15. Jahrhundert wurde es als Insektizid eingesetzt. Wegen seiner gefährlichen Toxizität für Wasserorganismen haben sich die USA, Kanada und Europa mittlerweile zwar darauf geeinigt, auf den Nikotineinsatz als Pestizid zu verzichten, dennoch wird es nach wie vor weltweit im Grund- und Trinkwasser und sogar in abgefülltem Mineralwasser nachgewiesen. Oft werden dabei die als unbedenklich geltenden Konzentrationen weit überschritten [1]. Ein einziger Zigarettenstummel in einem Liter Wasser reicht dabei aus, um 50 % der darin schwimmenden Fische zu töten [8]. Muscheln, Schnecken und andere kleine Wasserlebewesen reagieren noch empfindlicher, sodass bereits ein einzelner Zigarettenstummel pro 1000 Liter ausreicht, um merklichen Schaden anzurichten [1].

Übrigens: Bestrebungen Zigarettenstummel in der Umwelt zu reduzieren indem abbaubare Filter entwickelt werden, hilft nur bedingt, da auch abbaubare Filter die gleichen giftigen Stoffe aus den verbrennendem Zigaretten filtern und bereits wenige Stunden nach der Entsorgung eine rapide Freisetzung dieser Chemikalien beginnt [1]

Mikroplastik

Obwohl herkömmliche Zigarettenstummel wie Watte aussehen, bestehen sie größtenteils aus Cellulose-Acetat, einem nicht biologisch abbaubaren Polymer, und bleiben daher sehr lange in der Umwelt erhalten. Unter günstigen Bedingungen braucht es 15 Jahre oder mehr, bis diese Stummel verrottet sind. Doch auch damit sind sie nicht vollständig verschwunden. Viel mehr haben UV-Licht und Feuchtigkeit dafür gesorgt, dass die Filter zu feinen Partikeln, sogenanntem Mikroplastik, zerfallen sind [9]. Mikroplastik zählt zu den größten Umweltproblemen der modernen Welt. 3.200.000 Tonnen landen jährlich in unserer Umwelt. 1.500.000 Tonnen davon enden letztlich in den Meeren, werden von kleinen Lebewesen gefressen und somit in die Nahrungskette integriert, die bis zu uns Menschen reicht [10].

Gefahr für Tiere

Tiere wie z.B. Vögel und Hunde können Zigarettenstummel mit Nahrung verwechseln und fressen, was zu Vergiftungen und Tod führen kann. Auch für Kleinkinder stellen unachtsam weggeworfene Zigaretten eine Gefahr da. Besonders gefährlich für Tiere und Kinder ist das in den Zigaretten enthaltene Nikotin, das beim Essen der Zigaretten zu Vergiftungen führen kann [11]. Doch auch das Mikroplastik, welches durch die Zigarettenstummel in die Umwelt gelangt, belastet die Tierwelt: Mikroplastik verursacht zum Beispiel das Sterben von großen Wasserflöhen und beeinträchtigt die Fortpflanzungsfähigkeit bei Mäusen [12][13].

Was tut die Stadt Wien?

In Wien existieren verschiedene öffentliche Lösungsansätze. Es werden laufend Plakat-Werbekampagnen gestartet, wie zuletzt die Sauberkeitskampagne 2021 [14]. Laut eigenen Angaben der Stadt gibt es auch rund 21.600 Mülleimer mit Aschenrohren plus 2.100 freistehende Aschenbecher für eine ordnungsmäßige Zigaretten-Entsorgung. Außerdem sind die WasteWatcher dafür zuständig, das seit 2008 geltende Wiener Reinhaltegesetz, welches die Verunreinigung von öffentlichem Raum eindeutig verbietet, durchzusetzen. Hauptaugenmerk sind, neben Hundekot, Zigarettenstummel [15].

Doch das gesellschaftliche Bewusstsein ist, anders als bei Hundehaufen, immer noch zu klein und die Verschmutzung der Stadt mit Zigarettenstummeln nach wie vor enorm. Rund 868 Millionen Zigaretten werden allein in Wien jährlich achtlos auf den Boden entsorgt [16]. Nur 130.000.000 landen in den dafür vorgesehenen Mülleimern [15]. Werden diese Zigaretten zusammen mit Grünzeug von der Straßenreinigung aufgefegt, landet beides in Wiens Kompostieranlagen, woraus Erde entsteht, die letztlich auch in vielen Gemüse- und Kräutergärten verteilt wird. Fazit: Kein Mülleimer hilft, wenn die Zigaretten darunter, statt darin landen.

Was jeder selbst tun kann

Wie eingangs erklärt, ist vor allem Aufklärung darüber, wie giftig Zigarettenstummel sind, ein wirksames Mittel, um das Fehlverhalten von RaucherInnen bei Entsorgung ihrer Zigaretten zu verändern [2]. Anderen Mitmenschen das Zigaretten-Problem zu erklären, steht also an oberster Stelle.

Natürlich kann und sollte aber noch mehr getan werden: Raucherinnen und Raucher leisten dann de19n größten Beitrag, wenn sie ihre Abfälle stehts nur sachgemäß entsorgen und – falls kein Restmüll erreichbar ist – die Zigarettenstummel selbstständig wieder mitnehmen. Portable Aschenbecher sind unter anderem in allen Trafiken erhältlich und passen in jede Tasche.

Ziviler Druck auch auf politischer Ebene trägt dazu bei, dass zunehmend mehr Aufklärungskampagnen und Aufräumarbeiten stattfinden sowie mehr Abfalleimer für Zigaretten an kritischen Orten zur Verfügung gestellt werden. BewohnerInnen der Stadt Wien können etwa über die App Sag’s Wien Verschmutzungen mit Zigarettenstummel an die Wiener Stadtverwaltung melden (mehr dazu hier).

Auch private und kommunale Müllsammelaktionen versuchen regelmäßig, das Müllproblem zu reduzieren und ein Umdenken in der Gesellschaft voranzutreiben. Allein in Österreich wurden in den letzten Jahren Duzende Initiativen und Bewegungen gegen die Zigarettenflut gestartet.

Vienna_Tschick_Challenge

Als Corona-Alternativprogramm begann auch die vienna_tschick_challenge, eine Privatinitiative in Kooperation mit PädagogoInnen und SchülerInnen des Schulzentrums Herchenhahngasse. Die Initiative hat es sich zur Aufgabe gemacht, mehrmals wöchentlich Zigarettenstummel und mittlerweile auch anderen Müll zu sammeln und sachgemäß zu entsorgen. Allein bei einem einzigen eineinhalbstündigen Sammelausflug einer sechsköpfigen Klasse zum Bahnhof Leopoldau wurden 5047 Zigarettenstummel aufgelesen. Aber die Ziele der vienna_tschick_challenge sind größer. Was mit dem Vorschlag eines Schüllers, Müll sammeln zu gehen, begonnen hat, wurde zu einer Bewegung, die Aufklärungsarbeit leistet und auch laufend um Kooperationen bemüht ist, um die breiten Massen weiter zu sensibilisieren. Neben Umwelterziehung, wird daran gearbeitet, auch die Politik in Verantwortung zu bringen.

Die spannende Initiative der jungen Leute kann als @vienna_tschick_challenge auf Instagram gefunden werden. Tierschutz Austria wird die Vienna_Tschick_Challenge in Zukunft begleiten und euch auf dem Laufenden halten.

Quellen:

[1]         A. L. Roder Green, A. Putschew, and T. Nehls, “Littered cigarette butts as a source of nicotine in urban waters,” J. Hydrol., vol. 519, pp. 3466–3474, Nov. 2014, doi: 10.1016/j.jhydrol.2014.05.046.

[2]         J. M. Rath, R. A. Rubenstein, L. E. Curry, S. E. Shank, and J. C. Cartwright, “Cigarette litter: smokers’ attitudes and behaviors.,” Int. J. Environ. Res. Public Health, vol. 9, no. 6, pp. 2189–203, 2012, doi: 10.3390/ijerph9062189.

[3]         M. C. B. Araújo and M. F. Costa, “A critical review of the issue of cigarette butt pollution in coastal environments,” Environ. Res., vol. 172, pp. 137–149, May 2019, doi: 10.1016/j.envres.2019.02.005.

[4]         J. Torkashvand, M. Farzadkia, H. R. Sobhi, and A. Esrafili, “Littered cigarette butt as a well-known hazardous waste: A comprehensive systematic review.,” J. Hazard. Mater., vol. 383, p. 121242, 2020, doi: 10.1016/j.jhazmat.2019.121242.

[5]         WHO, Tobacco and its environmental impact: an overview. 2017.

[6]         M. C. B. de Araújo and M. F. da Costa, “Cigarette butts in beach litter: Snapshot of a summer holiday,” Mar. Pollut. Bull., vol. 172, p. 112858, Nov. 2021, doi: 10.1016/j.marpolbul.2021.112858.

[7]         H. Kurmus and A. Mohajerani, “The toxicity and valorization options of cigarette butts,” Waste Manag., vol. 104, pp. 104–118, Mar. 2020, doi: 10.1016/j.wasman.2020.01.011.

[8]         E. Slaughter, R. M. Gersberg, K. Watanabe, J. Rudolph, C. Stransky, and T. E. Novotny, “Toxicity of cigarette butts, and their chemical components, to marine and freshwater fish,” Tob. Control, vol. 20, no. Supplement 1, pp. i25–i29, May 2011, doi: 10.1136/tc.2010.040170.

[9]         (Quarks) Schuch, Martina, “So gefährlich sind Zigarettenkippen für die Umwelt” 2021.

[10]      WWF, “Mikroplastik ist überall,” 2020.

[11] Tobacco and cigarette butt consumption in humans and animals

[12]      Microplastics but not natural particles induce multigenerational effects in Daphnia magna.

[13]       Polystyrene microplastics induced male reproductive toxicity in mice

[14]      StadtWien, “Sauberkeitskampagne 2021,” 2021.

[15]      StadtWien, “WasteWatcher,” 2022.

[16]      (Der Standard) Kainrath, Verena, “Weggeworfene Zigarettenstummel sind Giftcocktail für die Natur,” 2019.

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